Palmsonntagsprozessionen
1944/1945/1946
HEILIGENSTADT
Palmsonntagsprozession - 1945 nur Kreuzfeier in der Marienkirche
Heiligenstadt. (tlz)
(Zeitungsartikel der TLZ vom 18.03.2005)
Propst Bolte hatte es immer wieder versucht, aber der Nazi-Stadtkommandant
blieb bei seiner Anordnung: kein großer Prozessionsumgang am Palmsonntag
1944. "Die Prozession durfte nicht wie sonst üblich von der Lindenallee aus
über den Heimenstein durch den Wilhelm und zurück zur Schlussandacht in die
Lindenallee führen, sondern war Palmsonntag 1944 auf den Platz um die
Marienkirche "begrenzt", erinnert sich Albert Heinevetter (74), seit 51
Jahren Ordner bei der Palmsonntagsprozession. |
Gegen das Verbot zu verstoßen, hätte Repressalien
auslösen können. Wie unerbittlich die Nazis gegen Religionseifer
vorgingen, hatten erst ein Jahr zuvor neun Abiturienten spüren müssen.
Nach altem Brauch hatten sie Palmsonntag 1943 mit brennenden Fackeln dem
Heiligen Grab das Geleit gegeben. Die lokalen Nazigrößen verstanden das
als offene Provokation, denn unter den glaubenstreuen "Grabesrittern"
waren bekannte Hitlerjugendführer. Gnadenlos bestraften sie die
"Verräter": Die neun Jungmänner wurden in ein Straflager der HJ nach Bad
Berka geschickt oder gleich zum Kriegsdienst eingezogen; zwei von ihnen
kehrten vom Fronteinsatz nicht mehr heim. "Und die Väter dieser Jungen
waren Strafversetzungen ausgesetzt", berichtet Albert Heinevetter. |
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1944 auf Kirchplatz
Gänzlich mussten die Heiligenstädter aber 1944 nicht auf ihre
traditionelle Palmsonntagsprozession verzichten. Sie stellten die
Stationsbilder auf dem Kirchplatz auf, das große am Haus gegenüber dem
Hauptportal der Propsteikirche. Das Heilige Grab, letztes der sechs
Bildnisse, war im Mittelgang der Kirche aufgebaut. Mit den Geistlichen
gingen die Gläubigen im Prozessionszug im Gedenken an die Passion Jesu
von Passionsbild zu Passionsbild.
Die Frauen, so erzählt Heinevetter, standen betend und singend auf dem
Rasenplatz, während die Kinder und Männer den Umgang begleiteten. Es
seien sehr wenige und zumeist ältere Männer gewesen. "Die meisten Männer
waren zum Kriegsdienst eingezogen."
Das Fehlen der Männer hatte sich schon in den Kriegsjahren zuvor zur
Palmsonntagsprozession bemerkbar gemacht. Deshalb hatte sich Propst
Bolte zur Palmsonntagsprozession 1943 an die Westhäuser Männer gewandt,
ob sie nicht aushelfen, das Kreuz tragen könnten. Und die Westhäuser
Männer halfen aus. "Und so tragen seit 1943 Männer aus Westhausen
dankenswerterweise das Kruzifix", erzählt Heinevetter.
Jahr für Jahr leisten seitdem die Männer aus Westhausen diesen
Passionsdienst - außer 1945. Denn wegen der näherrückenden
Kriegshandlungen fiel in diesem Jahr die Palmsonntagsprozession aus. Die
Angst war groß unter der Bevölkerung, wurde doch immer wieder die
Bahnlinie bei Heiligenstadt von Fliegern der Alliierten unter Beschuss
genommen; im Februar 1945 war die Tannenburg getroffen worden. "Es gab
Palmsonntag 1945 nur um 13.30 Uhr eine Kreuzfeier - das
Palmsonntagskreuz stand vor dem Altar - in der Altstädter Kirche. Aber
sie war sehr kurz wegen der ständigen Tieffliegerangriffe", weiß
Heinevetter, war er doch Messdiener bei der Andacht.
Propst Streb pfiffig
1946 stand die im deutschsprachigen Raum in dieser Form einzigartige
Leidensprozession abermals auf der Kippe. Die Rote Armee hatte
Heiligenstadt besetzt und die Administrationsgewalt. Sie hatte die
Palmsonntagsprozession zunächst verboten - Prozessionen mit Blasmusik
waren in ihren Augen militärische Vorgänge. Vor allem aber, so hielt
Heinrich Siebert in der Pfarrchronik von "St. Marien" fest - war die
Prozession untersagt, weil "Demonstrationen an der Grenze durch die
Erfurter Dienststelle verboten waren".
Propst Josef Streb, der am 29. Juli 1945 Adolf Bolte (nun Weihbischof
von Fulda) im Amt als Bischöflicher Kommissarius gefolgt war,
überlistete den sowjetischen Stadtkommandanten. Er wusste, dass dieser,
Hauptmann Rossow, früher Theaterintendant in Odessa und ein Liebhaber
von Orgelmusik war. Deshalb beantragte er keine kirchliche Prozession
mit Blasmusik, sondern ein "Melodram in sechs Bilder", "dreitausend
Akteuren", ihm in der "Hauptrolle" und unter Mitwirkung von
"Blasorgeln". Die Prozession fand am 14. April 1946 statt - unter
Beteiligung von etwa 10 000 Teilnehmern.
Am nächsten Tag musste Streb zu Rossow, der die Prozession von der
Rathaustreppe aus verfolgt hatte. Streb soll den Hauptmann gefragt
haben: "Alles karascho, Spiel karascho, Blasorgel karascho?" Und der
Offizier soll geantwortet haben: "Alles karascho. Aber Blasorgel? Du
großes Filou, du großes Spitzbube". In der Pfarrchronik steht davon
nichts, aber der Hinweis, dass die Palmsonntagsprozession von den
Sowjets genehmigt wurde - nach Intervention von Streb und dessen
Einwand, es wäre doch wohl peinlich für den Stadtkommandanten, wenn er
dem General in Erfurt melden würde, Rossow wüsste nicht, was eine
Prozession ist.
Enden wird die Palmsonntagprozession morgen wieder mit der Andacht in
der oberen Lindenallee. Bis in die 1960er Jahre, so Albert Heinevetter,
fand die Andacht stets unter den Linden statt: "Der Altar stand unter
den Bäumen in Höhe der jetzigen Telefonzelle."
Das Heilige Grab bildet das letzte der sechs Passionsbildnisse, die auch
morgen wieder durch die Innenstadt getragen werden.
TLZ - 18.03.2005 - von Ernst
Beck |
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