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Die Glocken von St.
Marien
Das alte Geläut von St. Marien bestand aus 3 Glocken, die am 7.
Dezember 1888 von der Firma Franz Otto in Hemelingen bei Bremen
angefertigt wurden und schon am 7. Januar 1889 in St. Marien in
Heiligenstadt ihre Glockentaufe erhielten. Das Probeläuten fand am 10.
Januar 1889 statt. Die große Glocke, geweiht der Schmerzhaften Mutter,
hatte ein Gewicht von ca. 2,1 Tonnen, die mittlere Glocke wog immerhin
noch 1,2 Tonnen. Das Gesamtgewicht aller drei Glocken betrug ca. 4,2
Tonnen. Die Kosten für Guß, Transport und Montage wurden damals
großzügig von der Stadt Heiligenstadt übernommen.
Dann kam der 6. Mai 1942. An diesem Tag wurde die letzte der 3 Glocken
aus den Türmen St. Mariens heruntergeholt und trat ihren Weg in die
Gießerei Ilsenburg (Harz) an, wo sie eingeschmolzen und dem sinnlosen
Völkermorden geopfert werden sollte. Aus Ilsenburg kehrten nur zwei
kleine Glocken (die Uhr- und die Taufglocke) zurück. Bis in die 60er
Jahre war so ein Geläut mit nur einer kleinen Glocke möglich.
Die Neuanschaffung eines für St. Marien geeigneten Geläutes wurde
lange geplant. Der Fuldaer Bischof Adolf Bolte (selbst einmal Propst
in St. Marien) und die Gläubigen der Gemeinde sammelten über Jahre die
notwendigen Geldmittel und so konnte 1962 die Firma Franz Schilling
aus Apolda mit der Neuanfertigung der Glocken beauftragt werden. Das
zum Guß bestimmte Metall, die Glockenspeise, wurde unter großen
Umwegen und Schwierigkeiten aus Westdeutschland beschafft und nach
Apolda gebracht.
Dem Guß ging am 3. Juni 1962 ein Gemeindegebet für gutes Gelingen
voraus. Am 5. Juni 1962 dann reisten Propst Streb und einige
Mitglieder des Kirchenvorstandes nach Apolda um dem Glockenguß
beizuwohnen. Nachdem ein Gebet gesprochen war, begann die Arbeit, die
für alle zum Erlebnis wurde. Der Gießmeister, Herr Schilling,
begutachtete den Guß und schätzte ein, daß die Glocken gut gelungen
seien. Das Gewicht der neuen Glocken betrug: Große
Dreifaltigkeits-Glocke 4,1 Tonnen, St. Marienglocke 2,1 Tonnen, St.
Martinsglocke 1,1 Tonnen, Heiliger Schutzengel Glocke 0,8 Tonnen.
Zwei Jugendliche aus St. Marien begaben sich für eine Woche nach
Apolda um beim Ausgraben der Glocken aus den riesigen Gußformen zu
helfen. Am 17. August 1962 besichtigten Herr Schilling, Propst Streb
und weitere Herren die Türme von St. Marien. Die Uhröffnung mußte
erweitert und am Nordturm ein Fensterkreuz herausgenommen werden. Die
Zimmerei Wiederhold aus Steinbach wurde hinzugezogen, Zifferblatt und
Zeiger der Uhr abgenommen und in die Rosenmühle gebracht, wo sie
abgestrahlt und später von Kirchenmaler Kruse aus Kreuzebra neu
vergoldet wurden.
Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung traf am 23. August 1962 ein
Lastwagen mit Hänger aus Apolda ein und brachte die 4 neuen festlich
geschmückten Glocken. Das Gesamtgewicht der Fracht betrug ca. 8
Tonnen, der Lastzug war um 3 Tonnen überladen! Beim Durchfahren der
Kirchgasse war zu beiden Seiten keine Handbreit Platz mehr vorhanden.
Propst Streb begrüßte sichtlich bewegt die neuen Glocken
Mit Hilfe eines großen Auslegers zwischen den Türmen werden die
Glocken vom Wagen gehoben. Der Kirchplatz war voller Menschen. Viele
freiwillige Helfer, Handwerker, Jugendliche und Meßdiener packten
fleißig mit an. Kleinere Eisenteile wurden sofort auf die Türme
gebracht. Die Entladung des Wagens wurde mit Hilfe eines an den
Auslegern befestigten Flaschenzugs vorgenommen und die Glocken rechts
und links sowie vor dem Hauptportale abgesetzt. Das Gewicht der großen
Glocke bog den Ausleger durch, aber er hielt stand. Die
Vorbereitungsarbeiten in den Türmen gingen derweil weiter. Um
Beschädigungen vorzubeugen wurden die Glocken von Freiwilligen
(Jugendlichen und Männern) des Nachts bewacht.
Am 26. August 1962 um 15.00 Uhr erfolgt dann die Weihe der Glocken
durch Propst Streb. Er sagte zur Eröffnung des Weihefeier: "Die
Glocken werden durch die Weihe, wie wir Menschen durch die Taufe
geweiht, um zu Dienen, zu Dienen zur Ehre Gottes und zum Wohle unserer
Mitmenschen. Wenn Pfarrer, Gemeinde und Glocken zusammenwirken gibt es
einen guten Klang."
Am 27. August 1962 holte der Vikar 2 Monteure aus Apolda, viele Helfer
waren wieder in St. Marien zur Stelle. Das schwierige Hochziehen der
Glocken konnte begonnen werden. Das Abhalten der Glocken von der
Kirchenwand gestaltete sich sehr schwierig, besonders bei der großen
Glocke. Diese große Glocke wurde durch die erweiterte Uhröffnung und
dann weiter im Südturm nach oben gezogen. Dabei wird der Glockenmantel
beim Durchziehen durch eine Stahlbetondecke leicht beschädigt. Die
drei anderen Glocken werden am Nordturm empor bis zur Fensteröffnung
hochgezogen, wobei sie durch Seile vom Mauerwerk abgehalten werden
müssen. Nach einigen Tagen sind alle Glocken an ihren vorbestimmten
Plätzen.
Am 31. August 1962 fand das lang ersehnte Probeläuten unter Leitung
von Herrn Schilling statt. Eine Bandaufnahme wird angefertigt und an
den Bischof Adolf Bolte nach Fulda gesendet. Die große Glocke klingt
sehr schön und voll. Neue Läutemaschinen werden nun von der Firma
Baumbach aus Nordhausen angefordert.
Seit diesem Tag nun rufen uns unsere Glocken zu Gebet und Feierstunden
in die Kirche. Sie sind lebendiger Teil der Gemeinde geworden.
Mögen diese Glocken nie wieder einem mörderischen Krieg zum Opfer
fallen, mögen sie nur im Frieden läuten.
Entnommen der Kirchenchronik von St. Marien
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