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"Gerechtigkeit" vom Keudelstein
(Zeitungsartikel der TLZ vom 31.01.2004)
Mariengemeinde bot
ihnen "Asyl"
Wie zwei Männer
„Gerechtigkeit“ retteten und sie nach Heiligenstadt kam
Heiligenstadt. (tlz)
Vom Altstädter Kirchplatz vis-á-vis der Propsteikirche
"St. Marien" in Heiligenstadt sind die beiden Reliefsteinplatten, die
Fremden oft ein Rätsel aufgeben, im Zuge der Außensanierung der
Liebfrauenkirche vor etwa anderthalb Jahren umgezogen. Beide
Figurentafeln, zuvor zusammengefügt zu einer Art Stele, flankieren - nun
erneut als Einzelstücke - den oberen Eingang zum ehemaligen Jesuitenkolleg
unweit des wieder geöffneten Südportals der Kirche. Die eine Figur hält
ein Schwert, die andere eine Waage in der Hand - Symbole für
Rechtssprechung und Gerechtigkeit.
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Wie Wächterfiguren stehen sie hier. Doch weder wie
jetzt Jesuitenkolleg noch vorher der Kirchplatz sind ihr angestammter Ort.
Die Kirchengemeinde und der damalige Bischöfliche Kommissarius des
Eichsfeldes, Propst Paul J. Kockelmann, boten 1978 beiden Steinplatten
gewissermaßen Asyl, retteten sie für die Nachwelt. Dass die Reliefplatten
nicht im Schutt des abgerissenen Gutes Keudelstein untergebaggert wurden
oder in privaten Gefilden verschwanden, ist aber in erste Linie der
Rettungstat von zwei Heiligenstädtern, den damaligen Mitgliedern der
Pfarrgemeinde und Mitarbeitern der Wasserwirtschaft Gerhard Jünemann,
heute Verwaltungschef des MCH, und Hermann-Josef Kaufhold zu verdanken. |
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Beide Steinbildnisse zierten einst den Eingang zum
Hauptgebäude vom unweit des Dorfes Hildebrandshausen gelegenen Rittergutes
Keudelstein, deren Herren Jahrhunderte lang hier lebten und von denen einer,
Reinhard Keudel, 1351 Pfandbesitzer der nur wenige Kilometer entfernten Burg
Bischofstein war. Von 1669, so Walter Rassow in seiner "Beschreibenden
Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Heiligenstadt",
stammte das Herrenhaus. Rassow verweist auch auf die beiden Figuren: Die
Karyatiden, die beide die Sinnbilder der Gerechtigkeit in den Händen halten,
deuten vermutlich auf richterliche Funktionen des Erbauers hin.
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Kaufhold, in Hildebrandshausen aufgewachsen, kannte das
Rittergutportal samt Figuren aus Kindheitstagen. Wie sehr musste es ihn
geschmerzt haben, als er 1978 das historische Gebäude in Trümmern sah. Auf
Befehl der Grenztruppenführung in Berlin wurde das altehrwürdige Haus
geschleift, damit es nicht eventuellen Republikflüchtlingen oder Verletztern
der Staatsgrenze Unterschlupf gewähren konnte. Solchem Wahnwitz wurde ein
wichtiges Zeugnis Eichsfelder Adelsgeschichte geopfert. Kaufhold und
Jünemann hatte ein Arbeitsauftrag des Wasserwirtschaftsbetriebes just zu der
Zeit hierher geführt, als die Abrissarbeiten liefen. Dabei entdeckten sie
auch die beiden Figuren. Beide konnten den die Abrissarbeiten leitenden
Offizier überzeugen, dass die zwei Steinreliefplatten Kunstwerke und
Allgemeingut seien und nicht, wie sie von diesem gehört hatten, in einer
Datsche eines höheren Offiziers verschwinden sollten. |
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Daran wie die beiden "Damen vom Keudelstein" nach
Heiligenstadt kamen, erinnert Propst Kockelmann in seiner gleichnamigen
Erzählung im Marienkalender des Jahres 2000. Kaufhold und Jünemann schafften
die beiden Reliefplatten nach Heiligenstadt zum Propst. Zunächst lagerten
sie auf der Rasenfläche bei der Marienkirche. "Schließlich wurde mit dem
Kirchenvorstand ein Standort in dem parkähnlichen Gelände vor der
Liebfrauenkirche vorgesehen, gut eingeordnet und so, dass die Gestalten
Rücken an Rücken standen", schreibt Kockelmann. Aber damit war der Umzug der
Keudelstein-Figuren nicht abgetan. Vertreter des Rates des Kreises
Heiligenstadt rückten an, warfen Propst und Propsteigemeinde quasi Diebstahl
vor. Sie hätten sich "Staatseigentum unter den Nagel gerissen und die
Figuren vom Keudelstein entführt". Das werde ein Nachspiel haben, gar vor
Gericht. |
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Doch es wäre nicht Paul J. Kockelmann, hätte er in dieser
brenzligen Situation nicht mit der ihm eigenen Schlagfertigkeit pariert. Von
einem Prozess sei doch wohl abzuraten: Es könne ja sonst die Frage
aufkommen, wer seine Aufsichtspflicht vernachlässigt habe. Schließlich seien
die Figuren aus dem Schutt geborgen worden. Gern könne der Kreis die beiden
Platten mitnehmen, sie auf günstigerem Platz aufstellen. "Es tat sich aber
weiter nichts in der Sache. Und so kam dann doch noch der Tag, an dem man
mit vereinten Kräften die beiden Schwergewichte auf den Sockel hob",
schreibt Kockelmann weiter.
Kaufhold und Jünemann dürften in jenen Tagen sicherlich
manche schlaflose Nacht gehabt haben, mussten doch auch sie mit dem
Schlimmsten rechnen. Sie hatten Glück wie die beiden Reliefplatten, die
gerettet zu haben, ihnen zuvörderst, sie verteidigt zu haben, Altpropst
Kockelmann die Ehre gebührt.
TLZ, 30.01.2004 von Ernst Beck |
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